D. Zimmermann: Antikommunisten als Staatsschützer

Cover
Titel
Antikommunisten als Staatsschützer. Der Schweizerische Vaterländische Verband, 1930–1948


Autor(en)
Zimmermann, Dorothe
Reihe
Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der ETH Zürich (11)
Erschienen
Zürich 2019: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
502 S.
Preis
CHF 58.00 / € 58.00
von
Daniel Artho

Im November 2019 hat die Aargauische Vaterländische Vereinigung (AVV) nach Jahren des Niedergangs ihre Auflösung für das Jahr 2020 angekündigt. Damit verschwindet nach einem Jahrhundert die letzte Sektion des einst einflussreichen Schweizerischen Vaterländischen Verbandes (SVV) endgültig von der Bildfläche.1

Mit der Geschichte des SVV in den 1930er- und 1940er-Jahren befasst sich Dorothe Zimmermann in ihrer 2017 an der Universität Zürich eingereichten Dissertation «Antikommunisten als Staatsschützer». Sie ruft darin in Erinnerung, dass sich hierzulande bereits lange vor dem Kalten Krieg und dem «Fichenskandal» eine stark ausgeprägte «antikommunistische Kultur» etabliert hatte (S. 261), die sich «in Praktiken der Überwachung, der Repression und des Fichierens» manifestierte (S. 419). So hatte der Landesstreik von 1918 die Fronten des Klassenkampfs verhärtet und besonders in rechtsbürgerlichen Kreisen die nachhaltige Angst vor kommunistischer Subversion geweckt.

Eine direkte Auswirkung dieser Bedrohungswahrnehmung war die Gründung zahlreicher Bürgerwehren, die im Frühjahr 1919 mit dem SVV einen nationalen Dachverband schufen. Die Bundesanwaltschaft verfügte bis zur Gründung der Bundespolizei im Jahr 1935 kaum über die notwendigen Ressourcen, um potentiell subversive Kräfte zu überwachen. Die föderale Struktur des Polizeiwesens erschwerte die Informationsbeschaffung und den Informationsaustausch zusätzlich. Dieses Vakuum im Bereich des Staatsschutzes machte sich der SVV als zivilgesellschaftliche Organisation rasch zunutze. Besonders in den 1930er-Jahren masste sich der SVV, der bis 1948 existierte, die staatsergänzende Rolle eines landesweiten antikommunistischen Nachrichtendienstes an. Ein Bewusstsein dafür, dass der Staatsschutz alleinige Sache des Staates ist, setzte sich in der Schweiz bis zur Aufdeckung des privaten Spitzeldienstes von Ernst Cincera (1976) nicht flächendeckend durch. So sah vor allem die Bundesanwaltschaft im SVV nicht etwa eine Gefahr für Demokratie oder Persönlichkeitsschutz, sondern vielmehr eine willkommene Unterstützung durch aufmerksame Bürger.

Zimmermann geht in ihrer Arbeit der übergeordneten Frage nach, wie der Staatsschutz in der Schweiz funktionierte, als er sich in einer Auf- und Ausbauphase befand. Dabei untersucht sie die Bedingungen, die es dem SVV ermöglichten, innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Systems in eine Machtposition zu gelangen, von der aus er massgebliche Prozesse – wie etwa den Aus- und Aufbau des schweizerischen Staatsschutzes beeinflussen konnte. Nicht zuletzt fragt die Autorin auch nach der Rolle und Funktion antikommunistischer Praktiken und Ideologien für den SVV. Die zeitliche Eingrenzung der Untersuchung ergibt sich vor allem aus dem Forschungsstand. So wurde die Geschichte des SVV von 1919 bis 1930/31 bereits in einer Dissertation von Andreas Thürer ausführlich dargestellt.2

Zimmermann bedient sich in ihrer kulturhistorisch angelegten Untersuchung einer breiten Palette an methodisch-theoretischen Ansätzen – so etwa der Foucault’schen Diskurstheorie – und positioniert ihre Studie in den vier Forschungsfeldern Verbandsgeschichte, Antikommunismusforschung, Staatsschutzforschung sowie historische Denunziationsforschung. Dass die Studie weit über eine rein deskriptive Verbandsgeschichte hinausgeht, zeigt sich etwa daran, dass auch die Rhetorik der SVV-Repräsentanten untersucht oder deren Motive zur Denunziation unter Einbezug eines emotionshistorischen Ansatzes analysiert werden.

Kein streng chronologischer Aufbau, sondern die verschiedenen Tätigkeitsbereiche des SVV verleihen dem Buch seine Struktur. Dieses Vorgehen ermöglicht es der Autorin, die Aktivitäten des Verbandes auf unterschiedlichen Ebenen parallel zu thematisieren, was ihr – von kaum zu vermeidenden Wiederholungen und Redundanzen abgesehen – sehr gut gelingt. Zunächst arbeitet Zimmermann die Organisationsstruktur und das Mitgliederprofil des SVV auf. Sie zeigt dabei, wie sich der SVV von einer breit getragenen «Volksbewegung» bis zu Beginn der 1930er-Jahre immer mehr zu einer «Kaderorganisation» entwickelte (S. 82), die ihre Aktivitäten zunehmend von der Strasse in die staatlichen Institutionen verlagerte. So wurde der Nachrichtendienst des SVV in den 1930er-Jahren zunehmend in den Überwachungs- und Kontrollapparat des schweizerischen Staatsschutzes eingebunden. Im Einvernehmen mit den Behörden konnte der SVV daher die politische Linke bespitzeln und mit seinen Denunziationen zahlreiche polizeiliche Ermittlungen in Gang setzen. Daneben traten SVV-Repräsentanten als Experten und Lobbyisten etwa für ein Verbot der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) oder einer restriktiven Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg auf.

Ein weiteres Betätigungsfeld war die Erinnerungspolitik: So wurde besonders der Landesstreik, aus dem die politische Unzuverlässigkeit der politischen Linken noch in der Zeit der Geistigen Landesverteidigung abgeleitet wurde, zum Gegenstand von Denkmalseinweihungen, Publikationen und Vorträgen. Im abschliessenden Kapitel «Illegitime Überwacher» fasst Zimmermann schliesslich die wichtigsten Entwicklungen der Verbandsgeschichte zusammen, bevor sie die Auflösung des SVV und dessen Hinterlassenschaften thematisiert. Lesende mit knappem Zeitbudget erhalten dadurch in komprimierter Form einen sehr gelungenen Überblick.

Als Kritikpunkt kann angeführt werden, dass die methodisch-theoretischen Passagen gesamthaft gesehen zu viel Raum einnehmen und etwas mehr Mut zur Kürze der Lesefreundlichkeit generell zugute gekommen wäre. Die sehr gut strukturierten und eingeführten Kapitel, die stets mit einem prägnanten Zwischenfazit schliessen, machen das Buch dennoch äusserst lesenswert. Positiv anzumerken ist an dieser Stelle zudem, dass die Autorin ihre Erläuterungen häufig mit ausländischen Beispielen kontrastiert und damit die Geschichte des SVV in einem internationalen Rahmen verortet.

Insgesamt präsentiert Zimmermann ein sorgfältig erarbeitetes Panorama des umtriebigen und gut vernetzten SVV sowie dessen in rechtstaatlicher Hinsicht fragwürdigen Praktiken. Damit schliesst sie eine wichtige Lücke im Bereich der historischen Denunziationsforschung der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Buch wird für die weitere Forschung zum Thema Antikommunismus und Staatsschutz in der Schweiz eine unverzichtbare Referenz darstellen.

1 Jörg Meier, Nach 101 Jahren. Vaterländischer Verein löst sich auf – das sagt Präsident Andreas Glarner, in : Aargauer Zeitung, 22. 11. 2019, www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/nach101-jahren-vaterlaendischer-verein-loest-sich-auf-das-sagt-praesident-andreas-glarner-136005513 ( 22.11.2019 ).
2 Andreas Thürer, Der Schweizerische Vaterländische Verband 1919–1930/31, unveröffentlichte Dissertation, Universität Basel, Basel 2010.

Zitierweise:
Artho, Daniel: Rezension zu: Zimmermann, Dorothe: Antikommunisten als Staatsschützer. Der Schweizerische Vaterländische Verband, 1930–1948, Zürich 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (2), 2020, S. 332-334. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00063>.

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